Der 700

Der 700. Geburtstag unserer Heimatstadt Naugard

Die 700-Jahr-Feier in Naugard begann mit einem eindrucksvollen Gottesdienst. Bei strahlendem Sonnenschein hatten sich vor Beginn des Gottesdienstes eine große Zahl Naugarder, die aus nah und fern angereist waren,

auf dem Kirchplatz eingefunden. Teilnehmer des Historischen Arbeitskreises Stettin, die eine Tagung in Vorpommern durchgeführt hatten, waren ebenfalls gekommen sowie einige Landsleute aus unserem Nachbarkreis Regenwalde und heutige Einwohner der Stadt.

Vor der Kirche erfreute uns der "Sedina-Chor" zunächst mit Frühlingsliedern. Der Naugarder Dekan und unser Pastor Rückheim begrüßten ihre große Gemeinde vor dem Einzug in die St. Marienkirche. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Für die meisten Teilnehmer war es nach dem Kirchenbrand im Dezember 2006 der erste Besuch ihrer nun schöner denn je wiederhergestellten Heimatkirche.

Pastor Ludwig Rückheim, geboren in Massow Kreis Naugard, ging auf die 700 Jahre alte Stadt Naugard ein, indem er die überwiegend deutsche Zeit erwähnte und die relativ wenigen polnischen Jahre. Er predigte über das Evangelium bei Johannes im 15. Kapitel "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben".

Mit zahlreichen Lob- und Dankesliedern der Gemeinde und mit Beiträgen des Sedina Chors aus Stettin unter der Leitung von Brigitte Kipper wurde der Gottesdienst mit der Austeilung des Abendmahls fortgesetzt. Zum Schluss sang die Gemeinde alle Strophen unseres Pommernliedes.

Der kurze Weg zum Markt führte uns zum Kulturhaus. Hier fand die Festkundgebung statt, die sich über drei Stunden hinzog. Das Rathaus erstrahlte in neuem Glanz und war mit zahlreichen Fahnen festlich geschmückt. Der Rathausturm war zwar noch eingerüstet, er hat zur Feier der 700jahre alten Stadt ein neues Kupferdach erhalten .


Das Naugarder Rathaus am 30. April 2009


Ca. 250 geladene ( und nicht geladene) Gäste hatten sich hier versammelt. Unter ihnen eine große Zahl Deutsche, die ehemaligen Naugarder, Landsleute aus Stettin und Regenwalde sowie Vertreter des deutschen Forstvereins. Die Stadt Heide, Patenstadt der Naugarder und Partnerstadt der heutigen Stadt Nowogard, war u.a. mit ihrem Bürgermeister, dem amtierenden Bürgervorsteher und seinen beiden Vorgängern vertreten.

Die festliche Kundgebung begann mit dem gemeinsamen Gesang der polnischen Nationalhymne. Auf die deutsche Nationalhymne wurde leider verzichtet.

Es folgte die herzliche Begrüßung durch den Bürgermeister der Stadt Kazimier Ziemba. Er hieß alle Ehrengäste namentlich willkommen.

Für den Woijewode der Woijewodschaft Westpolen überbrachte sein Stellvertreter Grußworte. Es folgten der Marschall von Westpolen, der Landrat des Kreises Gollnow, ferner die Vorsitzende des Heimatkreises Naugard, die nach einigen Grußworten in polnischer Sprache auf die deutsche Stadt Naugard einging, die von 1309 bis zum Einmarsch der Roten Armee am 4. März 1945 eine deutsche Stadt war. Sie bedankte sich für die Einladung zu den Feierlichkeiten und erwähnte das gute und freundschaftliche Verhältnis zwischen Alt- und Neubürgern, das sich im Laufe der Jahre auf dem Boden der geschichtlichen Wahrheit und der gegenseitigen Achtung entwickelt hat. Sie gedachte ferner der Stadtgründer, der Grafen von Eberstein, die aus dem Weserbergland nach Pommern kamen und weitere Siedler aus Niedersachsen mitbrachten. Die Grafen von Eberstein verkündeten am 30. April 1309 auf dem Naugarder Marktplatz das Lübische Recht für die deutsche Stadt. Auf den Grundmauern ihrer Burg entstand später das noch heute bestehende Gefängnis. Als sichtbares Zeichen ihrer fast vierhundertjährigen Herrschaft finden wir noch heute die vor 675 Jahren geweihte St. Marienkirche. Sie ist nach wie vor der Mittelpunkt der Stadt.

Frau Schlegel überbrachte herzliche Grüße und gute Wünsche der Naugarder, die nach der Vertreibung aus ihrer Stadt nun in alle Winde zerstreut sind. Zuvor erwähnte sie, dass wir wissen, dass den heutigen Bürgern die Stadt in über sechzig Jahren ebenfalls zur Heimat geworden ist.

"Es wird uns noch mehr verbinden, wenn wir Naugard, das heutige Nowogard, als unsere gemeinsame Heimat akzeptieren."

Mit allen guten Wünschen und Gottes Segen für die Stadt Naugard/Nowogard und ihre Einwohner beendete die Vorsitzende des Heimatkreises Naugard ihr Grußwort.

Es folgte Bürgermeister Ulf Stecher aus Heide, der das gute Verhältnis der Städtefreundschaft Heide-Nowogard besonders herausstellte. Als Gastgeschenk überreichte er ein Ölgemälde, das die Heider St. Jürgenkirche und die Naugarder Marienkirche zeigt, verbunden mit den Wappen beider Städte und den Portraits der Bürgermeister.

Es schlossen sich weitere Grußworte der Nachbarorte an, u.a. Massow, Schönhagen, Gollnow, Pribernow und Stepenitz.

In seiner Festrede beschäftigte sich Dr. Ludwig Biewer, der Vorsitzende der Gesellschaft für Pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V., mit Gedanken zur Geschichte einer Stadt in Pommern. Hier folgt nun eine kurze Wiedergabe seiner Ansprache, die in voller Länge in einer der nächsten Ausgaben der Pommerschen Zeitung veröffentlicht wird:

"Die wahre Geschichte wird seit Jahren von polnischen und deutschen Historikern ganz vorurteilsfrei und vorbildlich aufgearbeitet", so begann Dr. Biewer seine Rede. Er ging ferner auf das Lübische Recht ein, dessen oberste Revisionsinstanz der Rat zu Lübeck war. Ihm nachgeordnet waren weitere obere Gerichtsstädte, zu denen in Pommern zum Beispiel Kolberg gehörte, dem seit 1309 Naugard nachgeordnet war, zusammen mit Bublitz, Koerlin, Köslin, Schlawe und wahrscheinlich auch Stolp. Das Lübische Recht beherrschte den südlichen Rand der Ostsee und reichte im Osten bis nach Narwa.

Weiter ging Dr. Biewer auf die Stadtgründer, die Grafen von Eberstein, ein sowie auf Otto von Bismarck der im Naugarder Land seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Abschließend erinnerte er an die lange deutsche und an die kurze polnische Geschichte einer kleinen Stadt in Pommern. Die von Polen und Deutschen gemeinsam durchgeführte Geburtstagsfeier trage sicherlich viel zum Verständnis zwischen unseren freiheitlich und demokratisch verfassten Ländern bei.


Die Naugarder vor dem "Schlosshotel Matzdorf"


Anschließend hörten wir von Professor Edward Rymara einen Beitrag über die Auslegung der Geschichte der Stadt Naugard aus polnischer Sicht. Hier erwähnte Professor Rymara die Jahre um 1100, als Naugard von slawischen Völkerstämmen besiedelt wurde, die dann um 1260 von den Germanen verdrängt wurden. Er stellte die Frage, ob Naugard nicht mit Magdeburger Stadtrecht belehnt wurde, bevor der Stadt 1309 das Lübische Recht verliehen wurde. Außerdem zweifelte er das uns vorliegende Stadtprivileg an, insbesondere die Namen der Unterzeichner, denn nach seiner Ansicht könne man der vorliegenden Kopie keinen Glauben schenken, und das Original sei nicht vorhanden. Der Redner wusste offensichtlich nicht, dass bei dem großen Brand der Stadt Naugard im Jahre 1699 auch das im Rathaus befindliche Stadtarchiv den Flammen zum Opfer fiel.

Die beiden nachfolgenden polnischen Historiker sahen das zwar ähnlich, sie befassten sich jedoch intensiver mit den polnischen Jahren seit 1945.

Die Veranstaltung endete mit der Ehrung von einigen polnischen und deutschen Teilnehmern mit der 700-Jahr-Plakette der Stadt Nowogard u. a. an Vertreter der

Städte Nowogard und Heide sowie an die Vorsitzende des Heimatkreises Naugard.

Mit einem gemeinsamen Mittagessen im ehemaligen Bismarck-Hotel wurden die Feierlichkeiten fortgesetzt. Später folgten noch Veranstaltungen auf dem Markt. Das Stadtprivileg wurde dort in beiden Sprachen verlesen und eine Gedenkplakette am Rathaus enthüllt.

Wir Naugarder gedachten dann an unserem Gedenkstein auf dem Naugarder Friedhof unserer Toten.

Zahlreiche Veranstaltungen –besonders für Kinder- wurden am 1. Mai am Naugarder See durchgeführt. Unsere Reisegruppe unternahm eine Stadtrundfahrt und fuhr anschließend durch das Naugarder Land, das sich in herrlichem Maigrün zeigte, unterbrochen von großen Schlägen mit blühendem Raps. Flieder und Obstblüten wetteiferten in ihrer Blütenpracht. Die Störche waren inzwischen zurückgekehrt. In Massow besuchten wir mit Pastor Rückheim die Marienkirche, an der sein Vater als Pastor tätig war und in der er getauft wurde.

Wir wohnten in Misdroy im Hotel Amber Baltic direkt an der Ostsee.

Von dort unternahmen wir am letzten Tag unseres Aufenthaltes in der Heimat einen Besuch der Landeshauptstadt Stettin begleitet von einem Stadtführer. Im "Cafe 22" wurden wir zum Mittagsimbiss erwartet. Von unseren Fensterplätzen in der 22. Etage hatten wir einen herrlichen Blick über Stettin. Auf der Rückfahrt nahmen wir dann Abschied von der "Jubiläumsstadt".

Am Abend ließen wir unseren Aufenthalt in der Heimat, insbesondere die Erlebnisse bei der 700-Jahrfeier in Naugard, noch einmal revue passieren, wobei besonders der festliche Gottesdienst bei allen Teilnehmern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

Mit der Fähre über die Swine ging es am nächsten Tag über Usedom und Anklam auf der Autobahn 20 zurück zum Pommern-Zentrum nach Travemünde.

 

Margrit Schlegel

Vorsitzende des Heimatkreises Naugard